KV Hessen eröffnet Ausstellung „Systemerkrankung“
Vom 3. bis 26. Juni 2025 zeigt die Kassenärztliche Vereinigung Hessen (KVH) im Foyer ihrer Verwaltung in der Europa-Allee 90 in Frankfurt die Wanderausstellung „Systemerkrankung. Arzt und Patient im Nationalsozialismus“.
Die Ausstellung dokumentiert eindrücklich die Verstrickung der Ärzteschaft und ihrer Standesvertretungen in das NS-Unrechtssystem und ist zugleich das Ergebnis eines mehrjährigen Forschungsprojekts im Auftrag der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV).
Unter den Gästen der Vernissage am Abend des 2. Juni mit einem beeindruckenden Impulsvortrag der Holocaust-Überlebenden Eva Szepesi war auch die Hessische Gesundheitsministerin Diana Stolz.
„Diese besondere Ausstellung erinnert uns auf bedrückende Weise daran, dass auch unsere ärztlichen Vorgänger Verantwortung für Verbrechen in der NS-Zeit getragen haben“, sagt Frank Dastych, Vorstandsvorsitzender der KVH. „Sie dokumentiert nicht nur Einzelschicksale, sondern zeigt systematische Ausgrenzung, Entrechtung und Mitwirkung an menschenverachtenden Maßnahmen – auch durch die damalige Kassenärztliche Vereinigung Deutschlands. Wir sind froh, dass wir diesen wichtigen Schritt zur Aufarbeitung der Vergangenheit der deutschen Ärzteschaft nun gegangen sind. Wie für die ganze Gesellschaft gilt auch für uns: Nie wieder!“
Der Ausstellungstitel „Systemerkrankung“ steht sinnbildlich für die strukturelle Durchdringung des NS-Gedankenguts in den medizinischen Alltag. In Texten, Fotos, historischen Dokumenten und Medienstationen werden Fallgeschichten von Tätern und Opfern erzählt: jüdische Ärztinnen und Ärzte, die entrechtet, entlassen und gedemütigt wurden, auf der einen sowie Medizinerinnen und Mediziner, die sich aktiv an Zwangssterilisationen, „Euthanasie“-Morden oder Menschenversuchen beteiligten, auf der anderen Seite.
„Die Auseinandersetzung mit der Rolle der Ärzteschaft im Nationalsozialismus ist uns ein wichtiges Anliegen. Die Ausstellung ist gesellschaftlich hoch relevant und in ihrer Form und inhaltlichen Tiefe einmalig. Gerade in einer Zeit, in der Antisemitismus, Ausgrenzung und historischer Relativismus wieder spürbar zunehmen, ist es unsere Pflicht, uns zu positionieren und Haltung zu zeigen“, betont der stellvertretende KVH-Vorstandsvorsitzende Armin Beck. „Diese Ausstellung stellt uns als Standesvertretung, aber auch als Gesellschaft, vor grundlegende Fragen moralischer Verantwortung.“
Beeindruckender und zugleich bedrückender Höhepunkt der Eröffnungsveranstaltung war ein Vortrag von Eva Szepesi, die als Zwölfjährige als eines von wenigen Kindern aus dem Konzentrationslager Auschwitz gerettet wurde und 1954 nach Frankfurt am Main kam. Szepesi engagiert sich seit geraumer Zeit intensiv in der Erinnerungsarbeit. Sie spricht regelmäßig in Schulen und öffentlichen Einrichtungen über ihre Erfahrungen. An die Gäste appellierte sie, sich einzumischen und nicht zu schweigen.
Die Ausstellung basiert auf den Forschungsergebnissen des Zentrums für Antisemitismusforschung (ZfA) der Technischen Universität Berlin, das im Auftrag der Vertreterversammlung der KBV ab 2018 umfangreiche Archivbestände zur Geschichte der Kassenärztlichen Vereinigung Deutschlands (KVD) erschlossen hat. Die KVD wurde 1933 gegründet und war die erste gesetzlich verankerte ärztliche Interessenvertretung auf Reichsebene – und wurde schnell gleichgeschaltet. Sie beteiligte sich aktiv an der Verdrängung jüdischer und oppositioneller Kassenärzte.
Ein Beispiel: Der jüdische Gynäkologe Adolph Calmann, der eine erfolgreiche Klinik in Hamburg leitete, verlor 1938 seine Approbation. Er durfte fortan nur noch jüdische Patientinnen behandeln, ehe er 1940 ins Exil gezwungen wurde. Geschichten wie diese machen das Ausmaß der Ausgrenzung sichtbar – und die Verantwortung, der sich die Ärzteschaft mit dieser Ausstellung stellt.
Mit „Systemerkrankung“ setzen die KBV und die Kassenärztlichen Vereinigungen der Bundesländer ein deutliches Zeichen: gegen das Vergessen und für eine selbstkritische Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte.
Die Ausstellung ist öffentlich zugänglich. Interessierte Besucher können sich die Exponate von montags bis freitags zwischen 9 und 17 Uhr ansehen. Der Eintritt ist frei.
Ansprechpartner
Karl Matthias Roth
Kassenärztliche Vereinigung Hessen
Stabsstelle Kommunikation
Pressesprecher
Europa-Allee 90
60486 Frankfurt
Ansprechpartner
Alexander Kowalski
Kassenärztliche Vereinigung Hessen
Stabsstelle Kommunikation
stv. Pressesprecher
Europa-Allee 90
60486 Frankfurt