Eine Frau lächelt in die Kamera, während sie ein Magazin in den Händen hält. © andresr

Die Kassenärztliche Vereinigung Hessen (KVH) informiert ihre Mitglieder direkt, zielgruppenspezifisch und aktuell per Rundschreiben über relevante Neuerungen rund um die vertragsärztliche und psychotherapeutische Tätigkeit.

Humangenetische Leistungen

Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Kolleginnen und Kollegen,

wir kommen heute mit einem Thema auf Sie zu, das in Ihren Praxen wahrscheinlich jetzt schon vermehrt eine Rolle spielen dürfte. Es geht um die Veranlassung humangenetischer Diagnostik. Vielfach sollte es dabei entweder um eine therapiebegleitende Diagnostik, also die Companion Diagnostics (CDx), oder um einen zusätzlichen Informationsgewinn gehen. Bereits hier scheiden sich aber schon die Geister.

Selbst bei der CDx gibt es klare und einschränkende Vorgaben des Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM). Ob In-vitro-Diagnostika (IVD) die Kriterien eines CDx erfüllen, hängt wesentlich davon ab, ob der Nachweis des Biomarkerstatus für die Therapieentscheidung zwingend erforderlich ist, um eine sichere und wirksame Verwendung des Arzneimittels sicherzustellen. Alleinig die analytische Qualität, einen bestimmten Biomarker nachzuweisen, ist kein hinreichendes Kriterium für ein CDx. Ein zusätzlicher Informationsgewinn ohne therapeutische Konsequenz, also ohne eine Therapiesteuerung, ist damit definitiv keine CDx. Deswegen ist dieser zweite Aspekt unter allen Aspekten der vertragsärztlichen Versorgung als kritisch anzusehen.

In diesem Zusammenhang scheint sich zudem die „Unsitte“ zu etablieren, dass Dritte wie Kliniken oder Hochschulambulanzen von Vertragsärzten Laborüberweisungen auf Zuruf verlangen, wenn es darum geht, genau solch eine genetische Testung zu veranlassen, wobei die Testung als solche schon veranlasst wurde. Die Überweisung soll also unter Vorgabe des bereits ausgewählten Labors ex post ausgestellt werden.

Hierzu müssen wir klar feststellen: Auch für humangenetische Testungen gilt der Bundesmantelvertrag und selbstverständlich das Wirtschaftlichkeitsgebot. Dies gilt gerade und vor allem dann, wenn Dritte mit dem Wunsch einer Leistungsveranlassung auf die Praxen zukommen. Denn an dieser Stelle ist es aus unserer Sicht höchst fraglich, ob eine solche Zu- oder Überweisung auf Zuruf zulässig ist.

Als Vertragsarzt stellen Sie eine Überweisung für diagnostische und/oder therapeutische Leistungen aus, wenn diese erforderlich sind. Dabei sind Diagnose, Verdachtsdiagnose und bisherige Befunde mitzuteilen. Grundlage sind §§ 24, 25 Bundesmantelvertrag-Ärzte.

Konkret bedeutet das, dass Sie als überweisender Arzt ihren Patienten zunächst selbst untersuchen/behandeln und darauf basierend eine Überweisung zur Veranlassung humangenetischer Testungen für erforderlich halten. Maßgeblich ist dabei Ihre eigene medizinische Überzeugung und nicht die Einschätzung oder Empfehlung Dritter. Schlussendlich tragen Sie für die Erforderlichkeit der Überweisung auch die Verantwortung.

Somit sollte wie eingangs erwähnt und mit Blick auf die Entwicklungen in der Humangenetik und die Möglichkeiten diagnostischer Testungen vor der Veranlassung immer die Frage therapeutischer Konsequenzen im Mittelpunkt stehen. Folgen solche nicht, kann aus unserer Sicht die Leistung nicht Teil des GKV-Kataloges sein.

Unter therapeutischer Konsequenz kann natürlich auch die Beratung bezüglich einer Familienplanung verstanden werden. Wo da der Schwellenwert liegt, kann sicher nicht fest definiert werden. Natürlich gibt es da auch schwerwiegende genetische Erkrankungen und eine nachvollziehbare Einbeziehung entsprechender Informationen. Es gibt aber auch Testungen in erheblichem Umfang, wo eine solche Konsequenz nicht wirklich plausibel erscheint.

Uns allen ist klar, wie schmal der Grat ist, über den wir an dieser Stelle sprechen. Wir erleben aber in den letzten Jahren aufgrund des vermeintlichen Erkenntniszuwachses in der Humangenetik eine regelrechte Leistungs- und auch Kostenexplosion, bei der kaum noch ein Bezug dieser Leistungen zu
§ 12 des SGB V, dem Wirtschaftlichkeitsgebot, erkennbar ist.

Nicht nur bei Zöliakie, Laktase-Persistenz/Nicht-Persistenz, skin/hair/eye pigmentation, Diabetes mellitus, sondern auch bei vielen anderen Diagnosen werden in vielen Fällen humangenetische Testungen „gefahren“, ohne dass es irgendeine therapeutische Konsequenz hätte. Hierfür möchten wir Sie mit diesem Schreiben sensibilisieren. Wir alle tragen eine Verantwortung dafür, dass wir in diesem Bereich verantwortungsbewusst handeln und verordnen. Es liegt auf der Hand, dass angesichts des wissenschaftlichen Fortschritts und der zunehmenden Anzahl gentherapeutischer Wirkstoffe, die eine entsprechende humangenetische Diagnostik voraussetzen, in den nächsten Jahren hier eine weitere Leistungsexplosion droht. Und es geht am Ende auch darum, die finanziellen Ressourcen für die notwendige und erforderliche Diagnostik zu sichern.

Natürlich geht es hierbei nicht darum, dem medizinischen Fortschritt im Weg zu stehen. Molekulargenetische Diagnostik leistet bei bestimmten Krankheitsbildern den entscheidenden Beitrag für eine erfolgreiche Therapie.

Doch dort, wo sie keine therapeutische Konsequenz hat, sollten und können wir auf eine absolut kritische Indikationsstellung nicht verzichten.

Mit besten kollegialen Grüßen, Ihre

Frank Dastych
Vorstandsvorsitzender

Armin Beck
stellv. Vorstandsvorsitzender

zuletzt aktualisiert am: 24.05.2024

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